Erziehung fängt immer bei sich selbst an
„Die heutige Generation ist
aggressiv, faul und dumm!“. Eine Aussage, die trifft. Ob diese jedoch auch der
Wahrheit entspricht, bleibt fraglich. Selbst wenn, dann sollte sich doch nach dem
Warum gefragt werden. Die unbequeme Wahrheit lautet: Es sind die Erzieher, die
den Kindern vermitteln müssen, was sie tun und lassen sollen.
Mila ist zwei Jahre alt und rennt
ihrem Bruder Theo (4 Jahre) hinterher, macht ihm alles nach, schreit in derselben
Tonlage und versucht, die gleichen Worte wie er zu finden – sie spiegelt ihn
und lernt so von ihm.
Dieser Prozess nennt sich Sozial-Kognitive-Theorie,
„Modellernen“, „Lernen durch Nachahmung“ oder „Lernen an Autoritäten“. Alle
Begriffe sind auf den amerikanischen Psychologen Albert Bandura (*1925)
zurückzuführen. Seine Erkenntnis, Lernprozessen eine motivationale und
zwischenmenschliche Komponente beizumessen, revolutionierte die Lerntheorien
von B. Skinner und I. Pawlow – beide Vertreter der Ansicht, man solle nur rein
messbare Komponenten in die Forschung mit einfließen lassen.
Auf welcher Grundlage lernen nun
Kinder – und auch Erwachsene in gleichem Maße – von Autoritäten bzw. anderen
Personen? Die Bedingungen des Aufmerksamkeitsprozesses heißen Persönlichkeitsmerkmale
des Modells sowie des Beobachters.
Theo ist größer und älter sowie
der Bruder von Mila, was die Aufmerksamkeit erhöht. Mila hat einen geringeren
Status als ihr Bruder und ist deshalb dazu geneigt, ihm zu folgen und ihm etwas
gleich zu tun. Außerdem – so haben Hirnforscher nachgewiesen – ist das
wichtigste überhaupt die Beziehung zwischen Modell und Beobachter. Ist diese
gut, so werden gezeigte Verhaltensmuster sehr schnell und effektiv in das
Repertoire noch nicht gekannter Verhaltensweisen übernommen werden. Auch sind die Situationsbedingen wichtig;
gerade bei schwierigen Situationen, in denen schnell gelernt werden muss, weil
Gefahr droht, ist der zu Erziehende eher bereit, Verhalten nachzuahmen – z. B.
im Straßenverkehr.
Im Anschluss daran folgt die
kognitive Komponente; diese läuft vor dem „inneren Auge“ ab und beinhaltet eine
Repräsentation des zuvor gesehenen Verhaltens im Gehirn, eine Art
Handlungsplan. Mila hüpft nun schon auf und ab wie Theo und erhofft sich
dadurch eine sog. Bekräftigung, also eine Bejahung des Tuns von anderen Leuten,
meistens dem Modell, Eltern, Mitschülern, Lehrern oder seiner Bezugspersonen
(etwa der in die Hände-klatschenden Oma oder der lachenden Mutter). Danach und
währenddessen werden die motorischen Fähigkeiten geübt und so das Verhalten
übernommen, es wird gelernt.
Nun entdeckte Bandura vor allem,
dass die Rolle der Motivation für das Nachahmen von zentraler Bedeutung ist.
Der Beobachter wünscht sich ein Ergebnis, das dem des Modells nahekommt
(Ergebniserwartung), ihn selbst zufriedenstellt (Selbstbekräftigung) und seine
Fähigkeiten erhöht (Kompetenzerwartung).
Wenn all diese Komponenten
zusammenpassen und ein stimmiges Bild ergeben, kommt der Begriff der Selbstwirksamkeit
zum Tragen, der sagt, dass jemand meint, ein bestimmtes Verhalten in allen
Situationen erfolgreich ausführen zu können. Ein Beispiel hierfür wäre
Autofahren. Das aber erst glückt, wenn man sich innerlich sicher ist, jede
Situation mit dem Auto meistern zu können, bei jeder Verkehrslage und jeder
Geschwindigkeit. Selbstverständlich kann diese Selbstwirksamkeit auch
verhängnisvoll sein.
Eltern und Lehrer sowie Freunde
haben also einen weitaus wichtigeren Einfluss in der Erziehung wie bislang
geglaubt. Die Gesellschaft, in der – zumindest in einigen Kreisen – Faulheit
vorgelebt wird, muss also zwangsläufig solche hervorbringen. Ganz ähnlich sieht
es mit Gewalt aus. Dinge, die besonders gut – und teilweise nur – über die
Sozial-Kognitive-Theorie gelernt werden, sind beispielsweise die Sprache, die
Moral, Manieren.
Gerade Eltern spielen im
Kindesalter die prägende Rolle, genauso wie Geschwister. Es ist wichtig, hier
Verständnis dafür zu schaffen und Vorbild sein zu lassen. Im Bereich der
Medien, des Haushalts und der mitmenschlichen Kommunikation. Kinder sind
letztendlich der Spiegel der Seele eines jeden Erziehers. Und was ist schöner,
einen sich ähnelnden Menschen vor sich zu sehen?
Bild: Alex Siebner
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