„Man kann viel sehn, wenn man zwei Augen hat/und man nicht blind ist und die sonn scheint“ - Georg Büchners Fragment gebliebener „Woyzeck“

Entfremdung seiner Selbst, sich selbst aufgeben und für andere da sein, Woyzeck ist nur noch „Schatten seiner Selbst“ wie man sagt. Zerrissene Einheit, keine Ganzheit. Georg Büchner (1813 - 1837) lässt seinen Protagonisten von anderen leiten, was in einer Katastrophe endet. Sein nach der Hauptperson benanntes Drama „Woyzeck“ ist Fragment geblieben, wodurch auch klar wird, dass trotz sorgfältigster editorischer Liebe zum Detail einige Wörter in Büchners Handschrift nicht lesbar waren.
Man möchte in den ersten Szenen meinen, der Protagonist sei verrückt geworden - und tatsächlich: er ist ver-rückt von seiner ursprünglichen Position entrückt. Er verbiegt sich, will recht machen, was nicht recht gemacht werden kann. Und endet in fast schon armseliger Tiefe. Dabei gewinnt das Drama an Prägnanz, wenn man erfährt, dass es auf der Grundlage einer tatsächlichen Geschichte beruht. Den historischen Johann Christian Woyzeck richtete man am 27.08.1824 öffentlich auf dem Markplatz von Leipzig hin. Zuvor beging er einen Mord.
Jeder nörgelt an Franz Woyzeck herum; ganz ausgezehrt, weil er auf eine wahnwitzige Erbsendiät vom „Doctor“ gesetzt wird, ist ihm nicht alles so klar. Alle Groschen, die er verdient und nicht selbst braucht, bringt er zu seiner Geliebten Marie und seinem unehelichen Kind. Zu allem Überdruss verbringt diese eine Nacht mit dem „Tambourmajor“, was Woyzeck herausfindet und Marie ersticht. Da gibt es aber noch mehr Menschen, die was von ihm wollen, ihn triezen und ihn nicht in Ruhe lassen. Beispielsweise zieht ihn der Hauptmann auf und drangsaliert ihn.
Die Motive der Natur treten klar zum Vorschein, wenn Woyzeck an die Wand und auf die Straße uriniert, seinen Drang nicht mehr halten kann und seinem inneren Tier freien Lauf lässt. Auch zu Beginn in der ersten Szene werden Bilder der Natur wie „Hasen ... Grünes Gras ... Rasen“ gezeichnet. Auch die Medizin nimmt einen großen Umfang im Buch ein, was wohl auch auf das Medizinstudium des Georg Büchner zurückzuführen ist, denn der „Doctor“ schlägt mit Fachbegriffen um sich wie „Konstitution“ oder „Apoplexia cerebralis“. Ferner spricht er von „Experimenten“, die er mit dem Protagonisten durchführt. Ob Kritik am vormals vorherrschenden Schulmedizinwesen geübt wird, kann postuliert werden. Vielmehr noch werden gesellschaftlich-dümmliche Haltungen seitens der Bevölkerung kritisiert. Wer setzt sich schon bei klarem Verstande einer Erbsendiät aus, lässt sich von seinem Chef so herunterputzen oder von seiner Freundin so missbrauchen? Möchten wir kurz innehalten und ebenjene Fragen beantworten, kann uns auffallen, dass es wohl normale, menschliche Verhaltensweisen sind, die hier aufgegriffen werden, sich aber in grotesker Art zeigen, weil Woyzeck nicht ganz zurechnungsfähig ist.
Fraglich ist deshalb auch, ob Büchner auf eine Komödie oder Tragödie als gattungstheoretisches Konstrukt abzielte. Für Letzteres spricht wohl der Tod von Marie und für Ersteres die Charakterzüge der Figuren, die unterschiedlicher und zugespitzter nicht sein könnten.
Gesellschaftlicher Druck, persönliche Freiheitseinschränkungen und zutiefst verrückte Wesensarten der Hauptpersonen legen den Schluss nahe, dass sich Büchner um die einfache Bevölkerungsschicht kümmern, ihnen ein Stück weit Macht zurückgeben wollte - wie auch schon in seinem „Hessischen Landboten“ von 1834 angedeutet, wenngleich es darin eher gegen die Obrigkeit ging als für die normale Bevölkerungsschicht. Aber in weitaus geringerer politischer Intention, als vielmehr in gesellschaftlicher Dimension.
Aber es geht letztendlich darum: Mache Dich nicht abhängig von anderen, gehe Deinen eigenen Weg und lasse Dich nicht beeinflussen. Das sind höchst individuelle Erkenntnisse, die Büchner da in seinen „Woyzeck“ mit einfließen lässt und die die Freiheit eines jeden beeinflussen.

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