Daniel Kehlmann - Du hättest gehen sollen [eine Rezension]

Immer wieder tritt sie auf, hat in gewisser Weise die Protagonistenrolle übernommen - die Furcht. Welche Furcht lässt sich nicht so recht beschreiben. Sie schwebt nur quasi über Allem und ist nie so recht greifbar, aber sie ist da. Aber vor was fürchten wir uns in diesem schmalen Heftchen, das quasi nur zum Vorwand im Hardcover erscheint. So ein kleines Büchlein, solch eine zarte Gestalt; so eine große Wirkung.
Der Wechsel zwischen autodiegetischem Erzähler (Ich-Form) und dem Drehbuchschreiber ist kontrastiert dargestellt, wenngleich er sich auch unheilvoll thematisch immer wieder aufeinander bezieht.
Und dann liest man diese Seiten und erwartet so viel und erwartet schon fast, enttäuscht zu werden, aber man ist verblüfft, erstaunt und erschaudert.
Daniel Kehlmann (*1975) schreibt über ein Ferienhaus in den Bergen, die der Ich-Erzähler mit seiner Familie bewohnt. Das Drehbuch des Autors soll fertig werden, denn man wartet auf die Fortsetzung seiner ersten Komödie. Der Erwartungsdruck an ihn ist hoch und dazu kommen Selbstzweifel und vermindertes Selbstwertgefühl seitens des figuriellen Protagonisten. Gespickt wird diese Erzählung, die im ROWOHLT-Verlag im November 2016 erschien, durch Zwistigkeiten der Ehe. Man liebt sich, man schätzt sich, man hat ein Kind zusammen, aber dennoch stellt sich die Frage: „Warum streiten wir uns dauernd?". Es wird vom Kennenlernen und der Liebe auf den ersten Blick berichtet und man schwelgt gemeinsam in Erinnerungen. Aber da ist mehr. Da verläuft der Graben zwischen ihr und ihm, der sich textimmanent im Drehbuch und dem realen (Familien-)Leben manifestiert hat. Sie hat studiert, er nicht. Was halb so schlimm wäre, wenn sein Ego nicht so klein wäre. „Irgendwann schreibe ich über all das einen Film. Lange Dialoge, viele Rückblenden, keine Musik. Er wird Ehe heißen." Witz, Sarkasmus, Wut.
Das Büchlein kann es mit Schauerfilmen wie „Paranormal Activity" aufnehmen. So fein geschrieben, an manchen Stellen jedoch ganz wirr, aber man versteht den Sinn und erschrickt. Wer hat das Handy seiner Frau wirklich auf den Tisch gelegt, so dass der namenlose Protagonist sieht, dass ihr ein David geschrieben hat und es zum Streit kommt? Susanna meint, ihr Mann müsse das Handy aus der Tasche geholt haben. Wenngleich die Notizen seinerseits etwas anderes sagen. Und auch da fängt der ganze Spuk erst an. Der Leser muss dem autodiegetischen Erzähler glauben. Es sind seine handschriftlichen Aufzeichnungen.
Martin, von dem das Drehbuch handelt, ist das emotionale Äquivalent des Protagonisten. Oder dient dieser nur der Triebabfuhr, also dem Ausleben dieser korrekten Art, um selbst im wahren Leben nicht so zugeknöpft erscheinen zu müssen? Ganz und gar Finanzbeamter - stereotypisch, Schublade auf und nie mehr zu.
Man versucht zu folgen und landet immer wieder am gleichen Fleck. Dieses Haus mit seinem Innenleben macht Angst. Und die Träume des Ich-Erzählers verstärken jenes Schaudern. Da ist diese Frau mit den Augen, die so nah beieinander liegen. Tiefe Furchen durchgraben ihr Gesicht.
Seine Tochter und der Protagonist sind allein und weil sie das Haus nicht mehr ertragen, versuchen sie, nachts den Weg hinunter ins Dorf zu finden. Und kommen doch wieder am Haus an. Er ist nicht verrückt, denn auch seine vierjährige Tochter meint: „Aber wir sind doch nach unten gegangen."
Da ist die Furcht wieder. Eindringlich und stark; sie lässt Gänsehaut entstehen. Auch deutlich nach der Lektüre. Immer wieder aufs Neue.

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