Mir und mich als Reflexivpronomina

Nun endlich kann eine Theorie, die ich mit einer lieben Bekannten diskutiert habe, verschriftlicht werden. Liebe Nadia, dieser Eintrag sei Dir gewidmet!

Die Frage, die sich der Verfasser und Nadia stellten, war folgende: Wann werden die Reflexivpronomina mich und mir verwendet. Dies für Muttersprachler sehr intuitive Thema stellt sich für Deutschlerner sehr wohl. Freilich sind es zwei unterschiedliche Kasus. Aber durch welche Regel kann dies ausgedrückt werden?
Meine Hypothese hierzu ist folgende: Die Verwendung von mir bzw. mich hängt von der Präfigierung (be-) bei Präfixverben ab. Ferner folgen Partikelverben (z. B. anscheißen) ebenjener Regel.

Einige Dinge müssen zuvor noch besprochen werden, damit meine Überlegungen verstanden werden:

1. Remchands Theorie fußt auf der Auffassung, dass es eine Hierarchie in Sätzen gebe, nach der Sätze einen Initiator Vinit des Geschehens hätten, einen Prozess Vproc beschreiben und ein Resultat Vres hervorbringen.
Nicht jede dieser drei Vs gibt es in jedem Satz. Gerade die Präfix- und Partikelverben fügen Vinit, Vproc oder Vres dem Satz hinzu.

2. Sätze beschreiben oftmals Zustände, die sich in der Aktionsart nach Véndler, also Telizität (haben eine Grenze) bzw. Atelizität (keine Grenzbezogenheit), äußern. Telische Verben wie "erblühen", "verbrennen", "besteigen", "bescheißen" beschreiben allmähliche Zustandswechsel (Accomplishments), während sich plötzliche Zustandswechsel (Achievments) in den Verben "erkennen", "etwas finden", "scheißen", "fallen", "sein" finden.
Die atelischen Verben gliedern sich in Activities ("gehen", "stehen", "wandern", "treffen", können stundenlang getan werden) und States (Zustände wie "wissen", "lieben", "wohnen", "heißen").


Die Grundlagen sind dargelegt, weshalb jetzt zur praktischen Analyse von Sätzen übergegangen werden kann:
(1) Mir scheißt ein Vogel auf den Kopf. (Vinit, Vproc; atelisch, Activity)
(1´) Mich scheißt der Vogel - an. (Vinit, Vproc, Vres; telisch, Achievment)

Bei diesen Sätzen erkennt man, dass mich in Abhängigkeit der Partikel an auftritt. Dies ist verbunden mit dem Auftreten eines Prozesses, den der Vogel in Gang setzt und in der Beschmutzung des Beschissenen endet. Die Aktionsart ändert sich fundamental.

(2) Der Schrank fällt auf mich. (Vproc, Vres; atelisch, Activity)
(2´) Die Krankheit befällt mich. (Vinit, Vproc, Vres; telisch, Accomplishment)

Diese Sätze zeigen zwar eine Änderung in der Aktionsart und einer veränderten Prozessualität, auch wird das Verb präfigiert (be-), das Reflexivpronomen mich bleibt jedoch.

(3) Mir ist übel. (Vproc; atelisch, State)

Mir steht im Dativ, es gibt zwar ein Subjekt, das aber nicht im Nominativ steht - wie für deutsche Sätze eigentlich typisch. Es wird ein Zustand beschrieben, der grundsätzlich stundenlang gehen kann, was es zu den atelischen Verben zählen lässt ("sein").

(4) Dies geschieht mir. (Vinit, Vproc; atelisch, Accomplishment)

Dies steht im Nominativ. Der Prozess des Geschehens ist atelisch. Mir steht im Dativ.

(5) Das trifft mich. (Vinit, Vproc, Vres; atelisch, Achievment)
(5´) Das betrifft mich. (Vinit, Vproc, Vres; atelisch, Achievment)
(5´´) Die Kugel trifft mich. (Vinit, Vproc, Vres; telisch, Activity)

Mich steht bei den Sätzen jeweils im Akkusativ, es gibt ein Subjekt. Bei (5´´) zeigt sich eine Veränderung in der Telizität, denn die Kugel trifft nur so lange, bis sie steckt oder einen Durchschuss erzielt hat. Die Resultatszustände äußern sich durch das Reflexivpronomina mich.

(6) Das fällt auf mich. (Vproc; atelisch, Achievment)
(6´) Das gefällt mir. (Vinit, Vproc, Vres; atelisch, Achievment)
(6´´) Das befällt mich. (Vinit, Vproc, Vres; telisch, Activity)
(6´´´) Das Tier fällt mich an. (Vini, Vproc, Vres; telisch, Activity)

Die Präfigierung von "fallen" zu "gefallen" bewirkt eine Änderung vom Akkusativ zum Dativ.
Dies zeigt sich aber für "befallen" wiederum nicht. Aber zwischen (6´) und (6´´) gibt es eine Änderung von atelisch zu telisch.
Bei (6´´´) bleibt mich, obwohl ein Partikelverb gegeben ist. Dies ist ein gutes Beispiel, dass sich durch den Partikel der Kasus nicht immer ändert. Beide Kasus sind im Akkusativ (6´´ und 6´´´).

(7) Er hilft mir. (Vinit, Vproc, Vres; atelisch, Activity)
(7´) Er ist mir behilflich. (Vinit, Vproc; atelisch, Activity)

Ebenso wie bei (6) verhält es sich bei "helfen" und "behilflich sein". Beide Kasus sind Dativ; auch die Präfigierung be- ändert nichts am Fall.

Gezeigt werden konnte, dass der Resultatszustand Vres mit dem Auftreten des Reflexivpronomen mich in Verbindung steht. Dies zeigt sich vor allem in den Sätzen (1) und (1´) und das Auftreten des Vres hängt mit der Präfigierung bzw. dem Auftreten von Partikelverben zusammen. Bei (6) - (6´´´) ist dies wiederum nicht zu beobachten. Obwohl Partikelverben bzw. Präfixverben vorhanden sind, wechseln mir und mich nach keiner Regel.









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