Essay EPG II: Das Prinzip Verantwortung Die alleinige Entscheidungsgewalt der Frau über das in ihr heranwachsende Leben – Einseitige Verantwortung als falscher Schluss?!
Essay
EPG II: Das Prinzip Verantwortung
Die
alleinige Entscheidungsgewalt der Frau über das in ihr heranwachsende Leben –
Einseitige Verantwortung als falscher Schluss?!
Zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts lernen sich
ganz frisch, im Idealfall in einer Bar, kennen – heute wird das Treffen wohl eher
über Dating-Apps wie Tinder oder Lovoo ausgemacht. Im Grunde kommt es aufs
Selbe raus. Sie unterhalten sich, kommen sich näher und verschwinden zu einer
der beiden Personen nach Hause. Es führt eines zum anderen. Der nächste Morgen
kommt und „die Sonne scheint ihr brutal ins Gesicht“[1].
Man kann also schon erahnen, worauf es hinausläuft. Es war ein One-Night-Stand und
soll auch so bleiben. Mindestens eine Seite empfindet das so.
Schließlich wacht auch sie auf. Er bedankt sich für die
Nacht und macht einen Abflug. Soweit so normal möchte man fast sagen. Die junge
Frau lebt ihr Leben weiter, ebenso wie der junge Herr. Es könnte so toll sein,
bis sie auf eine ganz bestimmte normalerweise zyklisch wiederkehrende Sache
wartet ... und wartet und beschließt, einen Schwangerschaftstest in der
Apotheke zu kaufen (als ob ein höherer Preis am Ergebnis etwas ändern könnte),
um nicht mehr warten zu müssen, sich endlich Gewissheit zu verschaffen. Sie
macht den Test schließlich, die Minuten kommen ihr vor wie Stunden und jener Gedanke
ist dabei immer präsent. Ja oder nein. Behalten oder abtreiben. Sie wartet
wieder und hat dann das Ergebnis: zwei Streifen, die alles verändern. Weil sie
die teure Apotheken-Variante gekauft hat, lächelt ihr dick und fett ein
farbiger Smiley entgegen. Daneben steht: Sie sind schwanger! Herzlichen
Glückwunsch! Es kommt ihr vor wie Hohn. Jetzt wünscht sie sich, nicht so viel
Geld ausgegeben zu haben. Wieder vergehen Minuten, leer ist ihr Kopf. Sie kann
keinen klaren Gedanken fassen. Soll sie dem Kindsvater die „Frohe Botschaft“
mitteilen? Wie wird er reagieren? Wird er für sie da sein? Weil sich die beiden
über Tinder kennenlernten und das „Match“ und die Unterhaltung noch nicht
aufgelöst haben, schreibt sie ihm, dass sie unbedingt reden müssten. Bei jedem
Wort ringt sie um Fassung, achtet auf jede Nuance in der Formulierung. Die
Tragweite des bevorstehenden Gesprächs soll angedeutet werden, der
Gesprächsgrund aber nicht gänzlich klar sein; schließlich könnte Julian ja auch
abgeschreckt sein und sie dann gar nicht mehr treffen wollen. Sowas soll es
geben, hat Carina schon mehrfach bei RTL gesehen.
Der Tag des Treffens ist gekommen, es wird reinen Tisch
gemacht. Ihr Treffen an einem neutralen Ort wirkt wie ein Date, aber es ist
deutlich weltenverändernder – für mindestens zwei Personen. Julian schlägt
etwas vor, das sogar für drei Personen weltverändernd wäre. „Wir sind doch noch
so jung, und wollen doch nicht, und können tun wir´s doch auch nicht und
sowieso und für ihn kommt das doch eigentlich überhaupt gar nicht in Frage ...“
Zwischen den ganzen Worthülsen merkt Carina, dass ihre Bedürfnisse gar nicht
beachtet werden und eine Sache auf jeden Fall will: Das Kind austragen, was Julian
offensichtlich nicht versteht. Entschlossen entgegnet sie ihm: „Ich werde das
Kind bekommen. Es ist mein Körper. Du hast dich nicht einzumischen!“
Was sagt die Biologie
dazu?
Die intrakorporale Befruchtung, die schon früh als
Autapomorphie (Neubildung) als Anpassung an das Landleben erfunden wurde, setzt
ganz bewusst auf zwei Tiere unterschiedlichen Geschlechts bei der Zeugung. Ob
danach Brutpflege betrieben wird, sei einmal dahingestellt. Jedes menschliche
Individuum gibt dabei 23 Chromosomen in Form einer Spermien- oder Eizelle
weiter. Die Zygote mit diploidem Chromosomensatz (46 Chromosomen) teilt sich
und wächst heran. Männchen und Weibchen geben demnach gleich viel an die
nächste Generation weiter. Danach sei die Frage gestellt, ob die alleinige
Entscheidungsgewalt über eine Schwangerschaft bei der Frau liegt oder der Mann
gleichberechtigt stimmberechtigt ist. Bei einem gewünschten Schwangerschaftsabbruch
seitens des Mannes stimmt meist die Allgemeinheit zu und gesteht der Frau die
alleinige Entscheidungsmacht zu. Wie sieht es aber aus, wenn der Mann das Kind
ausgetragen haben möchte, nicht aber die Frau? Das landläufige Argument „Das
ist mein Körper“ wird laut. „[Denn]
niemand [wird] verantwortlich gehalten für die unnachsichtigen späteren
Wirkungen seines gut-gewollten, wohl-überlegten und wohl-ausgeführten Akts.[2]“
Schließlich sei sie es, die das Kind austrägt, in ihrem
Körper wachse das Baby neun Monate heran. Wir können also festhalten, dass die
körperlich-langfristige Komponente in dieser Argumentation mehr Gewicht hat als
die körperlich-kurze Zeugung, wenngleich Letztere auch gleichberechtigt
abläuft. Weil die Schwangerschaft ohne den mütterlichen Körper nicht zustande
kommt, gehört die Leibesfrucht zum Körper der Frau und dieser darf niemals
gegen den Willen und damit die Freiheit der Frau angetastet werden. Sie hat die
Verantwortung für sich und damit das ungeborene Leben. Dies mag sich nach der
Geburt verändern. Da hat der Mann ein Recht auf Mitbestimmung; der Körper der
Frau ist nun außenvor.
In der Debatte um die Brutpflege hat sich die Natur etwas
Schlaues einfallen lassen, um möglichst beide Eltern in die Verantwortung zu
nehmen. Während des Orgasmus wird das Hormon Oxytocin ausgeschieden, das beide
Partner zusammenschweißt; ohne Pille und/oder Kondom kann schließlich jedes Mal
ein Kind entstehen. Die Hälfte der Gene eines jeden Teils ergeben das Ganze.
Und dieses muss sehr lang behütet und beschützt werden. Aufgrund des großen
Cephalus ist limitierender Faktor bei der Geburt. Wäre er größer, müssten auch
die Mütter breitere Becken haben. Haben die meisten Frauen aber nicht. Die
weitergegeben Gene müssen geschützt werden, ihnen müssen Windeln angelegt,
Fläschchen gegeben und Windeln gewechselt werden – viele Male am Tag. Dem
eigenen Kind zu helfen, gilt dabei aber nicht als Altruismus[3],
weil es schließlich nicht wirklich eigennützig ist, seinen eigenen Genen
Anschub zu geben und keine Fitness-Nachteile für die Eltern entstehen. [4]
Auch wenn dies in der Forschung für Kontroversen sorgt.[5]
Kirchliche Interpretation
und Argumentation
Die duale Auseinandersetzung zwischen den zukünftigen
Eltern könnte durch eine weitere Komponente – wie auch immer man es sehen will
– schwerer oder leichter durch einen personifizierten Gott oder eine
Institution Kirche werden, die sich als Sprachrohr ebenjenes Gottes versteht.
Weil Gott Schöpfer ist, ist es sündhaft, das von Gott erschaffene und geschenkte
Leben zu beenden. Das lehnt den Schwangerschaftsabbruch kategorisch genauso ab
wie auch den Suizid. Dies ist konsequent. Was dies aber alles noch bedeuten
würde, sei hier nur angedeutet: Konsequenter Veganismus, Nicht-Behandlung bei
Krankheiten u.v.m. Nach diesem Bilde würde aber jede Einzelheit seitens des
„lieben Gottes“ vorgezeichnet worden sein. Oder entsteht ein Kind nur zwischen
zwei Liebenden? Nein! So schlimm es auch ist, aber auch bei Vergewaltigungen
entstehen Kinder. Diese Kinder dem sich liebender Eltern gleichzusetzen
hinsichtlich der Liebe zueinander ist grotesk. Unweigerlich kommen wir wieder
zur Theodizee-Problematik. Wenn Gott doch so gut ist, warum lässt er dann so
schreckliche Dinge wie (sexuelle) Gewalt zu?
„[Es] wird sich
zeigen, dass Augustinus' Erklärungsansätze wesentlich auf eine Entlastung der
göttlichen Verantwortlichkeit angesichts des Übels zielen und folglich den
Menschen selbst für das Böse verantwortlich machen, d.h. eine Entlastung Gottes
hinsichtlich seiner Verantwortlichkeit bedeutet zugleich - ganz dialektisch -
eine Belastung des Menschen“.[6]
Weil an Gottes Unfehlbarkeit und Allwissenheit nicht
gerüttelt werden kann, muss die Theodizee-Thematik mit dem freien Willen und
der dadurch entstandenen Menschlichkeit begründet werden. Somit ist der Mensch
weiterhin Ebenbild Gottes, dank des freien Willens aber auch für Böses
verantwortlich. Unweigerlich hakt man hier ein und möchte meinen: Wenn der
Mensch für Böses verantwortlich gemacht werden kann, so doch auch für Gutes. Er verbringt ja auch für Schlechtes seine
Zeit im Fegefeuer, bevor er in den Himmel kommt (laut jüdisch-christlicher Tradition). Warum wird ihm dann
nicht auch die Freiheit zugestanden, gegen das Dogma zu agieren? Es wird ihm
zugestanden und deshalb kann das Argument, nur Gott dürfe Leben schenken oder
beenden, nicht gelten, es sei denn, die Angst vor der Entscheidung einer
scheinbar falschen Tat wiegt schwerer als die Tat selbst. Die Konsequenzen sind
in jedem Falle zu tragen. Letztendlich heißt also Verantwortung begründet
handeln aufgrund einer Entscheidung – wie auch immer sie ausfallen mag. Verantwortung
ist somit mindestens ein Dreiakter aus wahrnehmen, urteilen und begründet
handeln. Wichtig dabei scheint das Bewusstsein zu sein, jene Kraft, die erst
begründetes Handeln zulässt.
Andere Sichtweisen
Wenn wir also zum Schluss gekommen sind, dass der freie
Wille dem Menschen die Möglichkeit gibt, in jedem Falle selbst zu handeln, so
wollen wir andere Themen ansprechen und herausfinden, welche Argumente hier
noch eine Rolle spielen könnten, das Kind auszutragen oder abzutreiben. Es gibt
nämlich durchaus bedenkenswerte Argumente – eben oder auch aufgrund der sich
immer weiter säkularisierenden Gesellschaft.
Wann entscheiden sich Frauen für ein Kind? Wann entscheiden
sie sich dagegen? Hauptsächlich hat es ökonomische Gründe, warum Frauen
abtreiben. So schreibt Vera Weidenbach in der ZEIT: „Es wundert deshalb nicht,
dass auch die Zahl der ungewollten Schwangerschaften bei Frauen, die
Sozialleistungen erhalten, fast dreimal höher ist als bei Frauen, die gut
verdienen“. Weiterhin führt sie aus, dass Frauen, die auf Hartz IV angewiesen
seien, dreimal häufiger abtreiben. [7] Einen säkularisierteren Grund für die Entscheidung gegen
eine Schwangerschaft gibt es wohl kaum. Ferner mag es auch sein, dass ganz
pragmatisch das Kind nicht in die derzeitige Lebensplanung der Frau passt. Es
mag aber auch Unwissenheit und nicht genügend Information sein, die bei Frauen
mit wenig Einkommen zur ungewollten Schwangerschaft führen.
Warum entscheiden sich Frauen für ein Kind? Freilich reden
wir hier immer von ungeplanter Zeugung und könnten daraus auch gewisse Schlüsse
ziehen: Es hat seinen Sinn, das Kind zu bekommen. Dies ist ganz nah an einer
theologischen Sinnstiftung, aber gleichzeitig ohne einen Gott zu erklären. Dazu
braucht es nur eine deterministische Sicht auf das Ganze, auf das Universum als
solches. Die Entscheidung dabei ist nicht frei, wie Hans Jonas konstatiert
(„denn mit Determinismus keine Ethik, oder ohne Freiheit kein Sollen“[8]), die
Determination führt zu einem sinnstiftenden Motiv. Eben wenn die Situation der
Schwangerschaft eintritt, so ist es für den Lebensweg der Einzelnen von
Bedeutung (ethisch theo- oder anthroponom betrachtet) – was allerdings nicht
die Entscheidung auch gegen das Austragen beeinträchtigt. Jegliche Entscheidung
ist in dieser Denkweise durch die Entscheidung selbst legitimiert. Was die
Schwangere auch tut, sie ist darin frei und ihre begründete Entscheidung ist
okay.
Nun haben wir die erste Erkenntnis gewonnen, dass die Frau
in Zeiten ihrer Schwangerschaft alleinig für die Leibesfrucht Verantwortung
trägt – ob nun ein Abbruch oder die Geburt am Ende dieses Prozesses steht.
Betrachtet werden soll aber nun der Fall nach der Geburt, denn hier ändern sich
einige Beziehungen. Weil der Körper der Mutter aufgrund des Rechts der
körperlichen Unversehrtheit bislang unantastbar war und der Kindsvater kein
Recht auf Mitbestimmung hatte, ändert sich das nach der Geburt wesentlich. Immer
noch freilich ist das Kind allein nicht lebensfähig und auf Hilfe in Form von
Zuneigung angewiesen und auch darin liegt der Anspruch des Vaters auf das Kind,
was zu einer Verantwortung führt.
Utilitaristisch kann dabei so gedacht werden, dass mit der
Pflege eines Kindes zwei Personen beschäftigt sind, wohingegen das Recht des
einen Kindes weniger wiegt. Hier sei an das Straßenbahn-Dilemma gedacht: 5
Menschen sind nur zu retten, wenn die Weiche umgestellt wird; darauf jedoch
steht ein Mann. Eine Entscheidung ist unausweichlich. Anders würde sich das Dilemma
verhalten, müsste man einen dicken Mann vor die Gleise stoßen, um 5 Personen zu
retten (dem soll hier aber in seiner Ausdifferenzierung nicht näher
nachgegangen werden). Wenn also die beiden erwachsenen Leben, allein weil es
mehr sind, mehr Gewicht haben als das eine ungeborene, so wäre dies eine
Begründung. Schließlich muss auch die Zeitlichkeit der Verantwortung für ein
Kind bedacht werden (rechtlich gesehen 18 Jahre).
Verantwortung als
Begriff
Zunächst einmal sollten wir klären, welche Definition
Verantwortung überhaupt zugrunde liegt. Linguistisch-morphologisch steht
zwischen den beiden Suffixen das gebildete „-antwort-“, woraus sich ableiten
lässt: wer antwortet, muss auch gefragt werden, ja, muss in Dialog treten. Der
Mensch ist das nach außen geöffnete Wesen. [9] Das gesamte Substantiv „Verantwortung“ gibt es also
mindestens erst bei zwei Menschen, auch wenn einen Schritt weiter gegangen
werden und die Verantwortung auf zwei lebendige Wesen ausgedehnt werden sollte.
Zu unterscheiden ist die strafrechtliche, soziale, gewissens- und transzendente
Verantwortung. [10] Es
können jeweils Ebenen der Verantwortung unterschieden werden: (i) Träger der
Verantwortung ist das Subjekt, das auf die ihm gestellte Herausforderung
Antwort gibt. Hier gelten Prinzipien, die eingehalten werden müssen: je größer
die Freiheit, desto größer ist auch die Verantwortung, je mehr Macht, desto
größer die Verantwortung und je mehr Wissen jemand besitzt, desto größer ist
die Verantwortung.
[11] Das Subjekt hat einen Verstand, den es bewusst einsetzt. „Der
Begriff der Verantwortung bezeichnet nach verbreiteter Auffassung die
Zuschreibung einer Pflicht zu einer handelnden Person oder Personengruppe
(Subjekt) gegenüber einer anderen Person oder Personengruppe (Objekt) aufgrund
eines normativen Anspruchs, der durch eine Instanz eingefordert werden kann.“ [12] Wer diese letztgenannte Instanz mit normativem Anspruch
ist, knüpft an die grundsätzliche Frage theonomer oder anthroponomer Ethik an,
soll hier im Folgenden aber seitens der Vernunft ergründet werden. Zur
Verantwortung gehört immer Bewusstheit.
Problematisierungen
Wenn es einfach wäre, wäre es vermutlich langweilig. Sollte
sich zumindest die Frau dafür entscheiden, das Kind zu bekommen, unter der
Prämisse, das Kind ist ungeplant, so beginnt die Verantwortlichkeit des Vaters
am Tage der Geburt. Das Kind ist ab diesem Tag auf Hilfe angewiesen. Menschen
sind biologisch gesehen k-Strategen mit geringer Wurfgröße und hoher Rate an
Investition in die Individuen. Die längere Entwicklungszeit machen Brutpflege
seitens der Eltern unentbehrlich.
Auch ist es möglich, dass Julian – um wieder zurück auf
unser eingehendes Fallbeispiel zu kommen – nach dem One-Night-Stand mit
mehreren anderen Frauen geschlafen haben könnte; genauso Carina, aber sie kann
nur von einem schwanger werden, während Julian mehrere Frauen die Entscheidung,
ein Kind auszutragen, aufdrängen könnte. Nun, halt! Was ist denn mit der
Verhütung, die Ernst und Spaß voneinander trennt? Die Verhütung ist die
Verantwortung schlechthin. Sie setzt bei sich selbst an, geht über den Partner
hinweg und endet beim dadurch verhinderten Kind. Auch aus medizinischer Sicht
ist dabei eine beidseitige Verhütung durch Kondom und anderweitiges Präservativ
empfehlenswert. Somit liegt die Verantwortung bei beiden wieder bei jeweils
50%. Was auch zu unserem Ausgangspostulat führt: Mann und Frau tragen jeweils
50% der Chromosomen zur Entstehung des Lebens bei und können es beide zu
gleichen Teilen verhindern. Aus welchen Gründen auch immer wird oft auf das
Kondom verzichtet, was als einziges vor Geschlechtskrankheiten schützt, und
sich auf die Verantwortung der Frau durch die Pille stützt. Hier findet eine
Verdrängung von Verantwortlichkeit seitens des Mannes und Verschiebung hin zur
Frau statt. Aus diesem Grund, aus diesem Vorgehen heraus, einem undurchdachten
Machen heraus, fällt der Mann bei späterer Schwangerschaft sofort wieder in die
Verantwortung hinein – und zwar durch seine anfängliche Verschiebung und
Verdrängung der Verantwortlichkeit. Diesem Dialog, der Antwort und Frage oder
zumindest etwas vorhergeht, kann sich nie entzogen werden. Sie kehrt wie ein
Bumerang immer wieder zurück.
Es lässt sich nun etwas einwenden, was die Verantwortung
des Vaters gegenüber des Kindes mindert: Ist es tatsächlich von ihm gezeugt?
Während die Frage der Mutterschaft meist sehr eindeutig ist, ist die Zahl an
Kuckuckskindern überschaubar, aber gegeben:
„Demnach liegt der Anteil dieser Kinder bei nur ein
bis zwei Prozent und damit wesentlich niedriger als oft dargestellt. Der
Prozentsatz sei mit der Einführung von Verhütungsmitteln nicht gesunken [...].
Dies stelle die bekannte Ansicht in Frage, dass Frauen durch außerehelichen
Verkehr regelmäßig gute Gene ,einkauften´, um ihren Kindern genetische Vorteile
zu verschaffen, so die Forscher.“ [13]
Dem widerspricht die Theorie, die auch Frans de Waal (ein sehr
bekannter niederländischer Primatologe) erwähnt, dass Frauen sich sehr wohl die
Unterstützung vieler Männer dadurch erkauften, dass sie mit mehreren Sex haben
und so die Vaterschaft verschleiern. [14]
Biologisch gesehen wird also Verantwortung geteilt, was wiederum jeden
einzelnen nicht so viel kostet wie das alleinige Kümmern und auch das Weibchen
hat den Vorteil, mehrere Ernährer an ihrer Seite zu haben. Die Barí-Indinaner
in Venezuela tun genau dies ganz bewusst, um sich der menschlichen
Verantwortung seitens der möglichen Väter gewiss zu sein. [15] Im Zweifel allerdings strebt der emanzipierte und in der
Welt der molekularbiologischen Analysen lebende Mann von heute einen
Vaterschaftstest an, der zweifelsfrei die Vaterschaft anzeigt – wenn 0,0001%
Unsicherheit verkraftbar sind. Schließlich geht es auch um finanzielle
Ressourcen, die vielleicht unser Julian gar nicht hat; möglicherweise müssten
noch seine Eltern für das ungeplante Balg bezahlen, was ja gar nicht in Frage
kommt wie die schon verlautbart haben.
Etwas weiter entfernt vom eingangs postulierten
One-Night-Stand ist die Samenspende, die meist völlig anonym abläuft und dies
auch so bleiben soll. Eine Samenbank nimmt das Sperma entgegen und bezahlt
dafür Geld. Auf einschlägigen Websites wird dies als „lukrativer Nebenjob“
angepriesen. Freilich wird hier seitens der Banken auch ein Auswahlverfahren
getroffen, wollen Paare doch möglichst die besten Startbedingungen für das
Kind. Das Sperma ist freilich immer von Mediziner und Literaturprofessoren. Hierbei
setzt aber die Verantwortung aus, oder pausiert sie nur? Wie wir oben sagten,
wird die Verantwortung wie ein Bumerang wiederkehren. 2015 wurde dazu
entschieden, dass Kinder, die aus einer anonymen Samenspende gezeugt wurden,
das Recht haben, Auskunft über ihren leiblichen Vater zu erhalten. Dies setzt
also wieder die Erzeuger in die Pflicht. So könne man gegenwärtig auch nicht
ausschließen, dass ein Samenspender von einem Kind auf Unterhaltszahlung
verklagt würde.
[16]
(i) Vergewaltigung: Wenn das Kind nicht gewollt ist und
eine kriminologische Indikation vorliegt, darf das Kind nur bis zur 12.
Schwangerschaftswoche abgetrieben werden. Eine Schwangerschaftsberatung ist
dafür nicht nötig, der Nachweis durch einen Arzt genügt. Hier wird also sehr
ähnlich juristisch argumentiert wie bei einer normalen Schwangerschaft. Der
Schutz des Ungeborenen geht vor. Nun mag man sich allerlei Szenarien
vorstellen. 1. Die Frau zeigt die Vergewaltigung an und wird daraufhin vom
Amtsarzt untersucht, 2. Die Frau zeigt die Vergewaltigung nicht an und erhält
Beratung pro oder contra Abtreibung, 3. Die Frau zeigt die Vergewaltigung nicht
an und traut sich auch nicht, sich beraten zu lassen, verschließt sich – bis
die 3-monatige Frist wissentlich oder unwissentlich verstrichen ist. Alle
Nuancen dazwischen verdeutlichen nur eins: Hier findet eine Kriminalisierung
der Tat in zweitem Rang statt, wohingegen die Tat ersten Ranges weitaus mehr
Gewicht hat, denn sie verletzt jegliches Recht der Frau hinsichtlich Intimität
und seelischer sowie körperlicher Unversehrtheit. Verantwortung wird in
brutalster Weise aufgedrängt. Die Verantwortlichkeit wurde negiert, denn gehört
dazu nicht eigentlich die bewusste Entscheidung? Genauso wie wir sagten, dass
nur die Frau über ihren Körper bestimmen darf, ist es auch hier – fast noch
konsequenter – klar, dass die Betroffene das Kind abtreiben darf. Aus dem Akt
des Aufzwingens darf kein Akt des Über-sich-ergehen-lassens erwachsen. Über die
scheinbar gesellschaftlich gewollte bzw. juristische Zeitspanne von 3 Monaten
mag gestritten werden können. Als Außenstehender (Mann) fragt man sich leicht,
ob es so schwer sein könne, zur Polizei zu gehen und eine Anzeige zu machen –
die Zahlen zeigen: es ist so. Die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen ist hoch.
Offiziell gab es von 2016 (9,6) auf 2017 einen Anstieg auf 13,7 Fälle pro
100.000 Einwohner.
[17]
Dies sind freilich nur die erfassten Zahlen.
(ii) Der Vater will (oder kann) nach der Entbindung nicht
helfen, weil er es für gerechtfertigt hielt, während der Schwangerschaft klar
zu machen, dass er das Kind nicht wolle. Die Verschiebung der
Verantwortlichkeit führt zur einseitigen Last, die von einem allein oder
Verwandten, Freunden o.ä. getragen werden muss. Entzug auf der einen Seite
führt in Sachen der Mitverantwortlichkeit zu Druck auf der anderen Seite.
Wenngleich es auch eine alleinerziehende Mutter schaffen kann, ihr Kind wohl zu
erziehen, ist es schwerer und anstrengender.
(iii) Vater oder Mutter verstirbt nach der Geburt des
Kindes: In aller Regel passiert dies nicht willentlich und kann deshalb auch
nicht unter die Kategorie Verantwortungsentzug fallen. Denn die Prämisse der
Bewusstheit des Verstandes ist nicht gegeben wie unter der Begriffsbestimmung
geklärt worden ist. Dennoch verlagert sich die Verantwortung und mischt sich
eventuell noch mit der Trauer über die verlorene Person.
(iv) Die Mutter will nicht, dass der Vater für das Kind
sorgt. Hier liegt die Verwehrung von Verantwortung seitens der Mutter vor. Sie
negiert damit die vom Vater bejahte Verantwortung von sich heraus. Weil wir
erstens sagten, dass Verantwortung immer die Antwort auf etwas Vorangegangenes
ist, und hier letzteres verweigert wird, und zweitens sagten, dass das Kind
erst ab der Geburt auch der Verantwortung des Vaters ersucht und ohne
Brutpflege nicht lebensfähig ist, so scheint es, als läge mit diesem Falle eine
Ausschaltung der Verantwortung aus freien Stücken vor (wobei wir sagen könnten,
dass die Mutter die Verantwortung aus natürlichen Stücken übernimmt). Es ist
die Verweigerung von Hilfe. Die Hilfe kann weitergereicht werden, weil das Kind
ja Pflege braucht, aber nicht verleugnet werden.
Zusammenfassung
Während der Schwangerschaft ist alleinig die Mutter für das
Ungeborene verantwortlich. Ob eine Abtreibung oder das Austragen der
Schwangerschaft entschieden wird, bleibt einzig ihr überlassen, weil der Embryo
ohne die Mutter nicht überlebensfähig ist. Dies ändert sich ab dem Zeitpunkt,
an dem das Kind geboren wird und dann auf Hilfe angewiesen ist.
Biologisch werden jeweils 23 Chromosomen weitergegeben,
aber hierbei muss das kurze Zeugen und das lange Austragen gegenübergestellt
werden, was das Recht der Entscheidung seitens der Mutter hervorhebt.
Der Entscheidungsmacht für oder gegen Leben entspricht der
Kirche nicht. Für sie hat Gott das Leben geschenkt; somit liegt die
Verantwortung nicht beim Menschen, sondern beim Allmächtigen. Da aber schon
früh in der Kirchengeschichte der freie Wille als Instanz postuliert wurde,
zählt das Argument, dass nur Gott über Leben und Tod entscheiden kann, wenig.
In Verantwortung steckt eine Dualität, die eine
Konversation nötig machen. Dazu sind immer mindestens zwei lebendige Wesen von
Nöten. Wir können Verantwortung aufsplitten, sie aber nie abgeben. Sie kehrt
wie ein Bumerang zurück. Eindrücklich haben dies die Urteile zu Samenspenden
gezeigt.
Eine Reihe an Problematisierungen sind wichtig, um die
Frage näher zu klären, ob nach der Geburt auch der Vater ein Anrecht auf die
Verantwortung gegenüber des Kindes hat. Dies hat er, aber eben erst ab dem Tag
der Geburt. Bei Vergewaltigungen werden Frauen in Verantwortung gezwungen, was
ihnen automatisch das Recht gibt, einen Abbruch zu wählen. Entzug von
Verantwortung auf der einen Seite führt immer zur Last auf der anderen Seite.
Sie kann nie negiert werden.
[1] Udo Lindenberg: Leider nur ein Vakuum
[2] [Anm. 4],
S. 25.
[3] Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit
[4] S. A. West, A.S. Griffin, A. Gardner: Social semantics:
altruism, cooperation, mutualism, strong reciprocity and group selection.
Journal of Evolutionary Biology 20: 415–432. doi:10.1111/j.1420-9101.2006.01258.x.
[5] Robert L. Trivers (1971): The evolution of reciprocal altruism.
Quarterly Review of Biology 46: 35–57.
[6] Digel,
Klaus: Augustinus und die Frage der Theodizee. Wie erklärt Augustinus das
Böse?, Freiburg 2011, S. 3.
[7] Weidenbach,
Vera: Verhüten für Arme. Für Frauen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind,
ist die Pille oft zu teuer. Auch deshalb treiben sie häufig ab. In: DIE ZEIT,
12.04.2018, Nr. 16, S. 12.
[8] Hans,
Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische
Zivilisation, Frankfurt am Main 1979, S. 10.
[9]
Ratzinger, Joseph: Einführung in das Christentum und Rahner, Karl: ...
[10]
Ethische Grundbegriffe, URL: https://www.brgdomath.com/ethik/grundbegriffe-verantwortung/begriff-verantwortung/
(01.05.2018 um 13:38 Uhr).
[11] [Anm. 6].
[12] Höffe,
Otfried (Hrsg.): Lexikon der Ethik, München 1986, S. 263.
[13] Garms,
Anja: Zahl der Kuckuckskinder total überschätzt, 05.04.2016, URL: https://www.welt.de/wissenschaft/article154032118/Zahl-der-Kuckuckskinder-voellig-ueberschaetzt.html
(10.05.2018 um 20:58 Uhr).
[14] Vgl. De
Waal, Frans: Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind, München 2010, S.
157.
[15] Vgl. [10],
S. 156.
[16] Vgl.
Maaß, Stephan: Müssen Samenspender ihren Kindern Unterhalt zahlen?, 29.01.2015,
URL: https://www.welt.de/wirtschaft/article136927574/Muessen-Samenspender-ihren-Kindern-Unterhalt-zahlen.html
(10.05.2018 um 22:01 Uhr).
[17]
Statista: Anzahl der polizeilich erfassten Fälle von Vergewaltigung und
sexueller Nötigung* pro 100.000 Einwohner in Deutschland von 2002 bis 2017,
2018, URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1587/umfrage/vergewaltigung-und-sexuelle-noetigung/
(25.05.2018 um 21:00 Uhr).
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