Warum ist das Böse so sexy? - Faust I im Alten Schauspielhaus Stuttgart [eine Rezension]

Wenn man dem Adam- und Evamythos Glauben schenken möchte, zieht das Böse an, das Teuflische reißt einen aus seiner zuvor noch als sicher geglaubten Verankerung, wirbelt einen herum und drischt dann auf einen ein. Aber es ist doch so verführerisch, frei und mächtig zu sein, sein Schicksal selbst in Händen zu halten, zu wissen, was als nächstes passiert. Dadurch wird man selbst zu Gott - versucht es zumindest und entfernt sich dabei immer mehr vom Boden, kann tiefer fallen als je zuvor.
Psychodelische Musik machen Faust I, welches bis zum 29.04.2017 in Stuttgart lief, zu einem wahren Ohrenschmaus, feine Symbolsprache und ein gutes Bühnenbild sowie gute Schauspieler lassen es auch visuell funkeln.
Auf einer Achse von klassisch und modern muss man Ryan McBrydes Inszenierung wohl deutlich bei Letzterem verorten. Sie folgt dem Primärtext, was sinnvoll und nötig ist, aber ist in seiner Aufmachung so anders und doch so klar in seiner Symbolik. Der in seinem kleinen Stübchen eingekesselte Heinrich Faust wird bei seinem Versuch, sich umzubringen vom Ostersonntagsumzug abgehalten, der schon allein für sich mit seiner schönen Stimme auf Latein wirkt, der von Alexandra Maria Wilcke angeleitet wird, welche auch ganz tolle spirituelle Musik im echten Leben macht (http://alexandra-marisa-wilcke.de). Licht und Schatten, genau die richtige Dosis von beidem lassen die Bühne als Gesamtkunstwerk erscheinen.
Sobald der Pakt mit Mephistoteles (Christoph Bangerter) geschlossen ist, beginnt sich das Leben von Faust zu verändern. Die Hexe als Plastische Chirurgin übernimmt den Part der Verwandlung Fausts hin zu einer ansehnlicheren Physiognomie. Der Bart fällt ab und die Sexyness eines taillierten Anzugs ausgespielt. Eher er sich versieht, erhält er eine komplette Gesichtserneuerung.  Spaß und Spiel stehen von nun an im Mittelpunkt seines neuen Lebens, wie ein Besuch in der Studentenkneipe zeigt - wenngleich sie auch eher an eine verruchte Bar erinnern mag. McBrydes katapultiert den sich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens wandelnden Heinrich Faust ins 21. Jahrhundert - leicht und mühelos, an Aktualität nur hinzugewinnend.
So ist er auch bereit, sich für die restliche Zeit zu verlieben. Es ist nur ein heikles und schwieriges Unterfangen mit einer streng gläubigen Christin Gretchen (Katharina Paul) in Kontakt  zu kommen. Das Spiel zwischen Gut und Böse ist voll im Gange. Faust drängt darauf und die List ist, eine Schatulle mit allerhand kostbaren Dingen in ihre Kommode zu stellen und abzuwarten.
Lediglich einzelne Szenen werden dargestellt - freilich wie es der Primärtext verlangt, aber so klar ins Jetzt versetzt, wenn die Nachbarin Marthe im Leopardentop auf der Couch herumlungert und den Topos der Arbeitslosen bedient.
Der Soldat und Bruder Gretchens Valentin (Lukas Benjamin Engel) gibt sich auch im Tode noch kämpferisch und moralisch überheblich, indem er sagt:  „Ich sag dirs im Vertrauen nur:/Du bist doch nun einmal eine Hur". Zu recht heißt es, ein Drama sei nicht vollständig, gäbe es keine Inszenierung dazu. Vieles wird erst dadurch begreiflich, eben bildhaft. Wenn zudem noch so virtuos mit Licht, Farben, Hintergründen, Mustern und Symbolik gespielt wird, ist der Abend vollends perfekt.    

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